Bios Markions

 

Um den Anfang und damit die Geburt Markions zu bestimmen, die durch A.Harnack auf das Jahr 85 gelegt wurde und weitestgehend Konsens in der NTlichen Wissenschaft geworden ist - es beruht vorwiegend auf einem Zeugnis von Clemens Alex. (Strom VII, 107,1), das von A.Harnack und T.Zahn aus meiner Sicht nicht korrekt verstanden wurde -, möchte ich den Beginn vom Ende her bestimmen, das im Gegensatz zum Anfang auf das Jahr 180 konkret festgelegt werden kann. Diese Jahreszahl ergibt sich neben dem bereits in der Forschung bekannten Jahr 144, wenn zu der 1.LA im historischen Präsens des Satzes, der das Jahr 144 errechnen lässt, die 2.LA im (normalen) Präsens hinzugezogen wird. Dieser Satz, der die Jahreszahlen bestimmt, ist in Adv. Marcionem I,19,2 gegeben und lautet in der 2.LA:

A Tiberio autem> <usque ad Antoninum | anni fere> <centum quindecim | et> <dimidium anni | cum dimidio mensis>.                                                                                                        

(Tantundem temporis> <ponunt inter Christum | et> <Marcionem.)                                     

Von/(Herkunft: bez Markion) Tiberius/(kaiserliches eig ref Ipse Se/AT/s=k+NT/s/i) hingegen/(nämlich: bez anni)> <ununterbrochen/(zeitl) zu/(bei) Antoninus/(kaiserliches eig ref Ipse Se/AT+NT/s/i) | des Jahres/(zug: gegenwärtiges Kalenderjahr! Bez Tiberius!) ungefähr/(bez alles danach)> <115 | und/(Aufzählung)> <die Hälfte des Jahres/(atr: also 115/2=57,5) | mit der Hälfte des Monats/(obj: also 15)>.

 

In dieser umgekehrten Betonungsstruktur der 2.LA wird das erste anni zum Genitiv Singular und nicht wie in der 1.LA zum Nominativ Plural. Und das zweite anni, ebenfalls wie in der 1.LA im Genitiv Singular, bezieht sich auf das erste anni, so dass mit dem et, das eine Aufzählung ausdrückt und nicht gleichzeitig wie in der 1.LA zu verstehen ist, sich eine Aufsummierung aus 115 + 57,5 + 15 = 187,5 ergibt. Die in der 1.LA ungewöhnliche genaue Datierung von 115,5 Jahren und einem halben Monat auf das 15. Kaiserjahr (29 n.Chr.), das sich vom Herbst 28 n.Chr. bis zum Herbst 29 n.Chr. erstreckte, macht nur einen Sinn, wenn der Verfasser dieses Textes damit auch sein gegenwärtiges Jahr ausdrücken wollte. Bei dieser Aufzählung ergibt sich die Schwierigkeit, weil der Ausdruck a Tiberio die Herkunft bezüglich (bez) Markion beschreibt und nicht zeitlich wie in der 1.LA zu verstehen ist, auf welches Anfangsjahr diese Zahl von 187,5 zu beziehen ist.                                                     

Gemäß dem bereits erwähnten Zeugnis von Clemens Alex. (Strom. VII,106,4-I) begann die Parusie des Herrn im Jahr 7 v.Chr., da er die Mitte der Regierungszeit des Kaisers Augustus (27 v.Chr. - 14 n.Chr.) ansetzte. Bei der Behandlung des lk Familiengleichnisses (Lk 8,19f.) wird in Adv. Marcionem IV,19,6 explizit die Geburt des Herrn erwähnt (domini nativitatem) und in Kürze darauf in IV,19,10 ein gewisser Sentius Saturninus ("Sed et census constat actos sub Augusto tunc in Iudaea per Sentium Saturninum"). In diesem Zusammenhang ist der Sentius Saturninus gemeint neben anderen gleichen Namens, der im Jahr 7 v.Chr. Statthalter von Syrien war und gemäß diesem Zeugnis in Judäa einen census durchgeführt haben soll. Damit ergibt sich ein interessanter Widerspruch zwischen dem Statthalter Quirinus (7 n.Chr.), der in Lk 2,2 erwähnt wird, und diesem Statthalter Sentius Saturninus (7 v.Chr.), denn bei beiden wird die Geburt und die Volkszählung in Verbindung gebracht, so dass man davon ausgehen kann, dass im zeitlichen Verständnis (!) auch Markion die Geburt und den Anfang Christi in das Jahr 7 v.Chr. gelegt hat und als Bezugsgröße für das gegenwärtige Jahr 180 herangezogen hat, der noch nicht die konstitutionelle Verfassung (!) des Herrn im Jahr 29 n.Chr. innehatte.                                                                                               

Die Abfassungszeit des großen 5-bändigen Werkes Adv. Marcionem liegt demnach um das Jahr 180 n.Chr. und steht im zeitlichen Widerspruch zu den anderen Werken Tertullians, dessen erste Schriften um das Jahr 200 entstanden sind. Diese Unstimmigkeit löst sich dadurch auf, wenn man sich intensiv mit diesem großartigen Werk auseinandersetzt und es dreideutig liest. Man gelangt zu der festen Überzeugung, obwohl ich mir des Zirkelschlusses bewusst bin, dass nicht Tertullian, sondern ein Markionit Verfasser dieses Werkes ist. Es mag auch an der nicht so polemischen Sprache erkannt werden, die Tertullian eigen ist. Das Werk trug ursprünglich den Titel Adversus Haereses Omnes, der in Adv. Marcionem V,19,1 explizit als praescriptio angeführt ist und dem Titel Adversus Omnes Haereses einer Schrift sehr ähnlich ist, die bereits in der Wissenschaft einem Pseudo-Tertullian zugeordnet wurde. Da die Abfassungszeit des ebenfalls 5-bändigen Werkes Adversus Haereses von Irenäus allg. um das Jahr 180 angesetzt wird, ist nicht nur eine inhaltliche, sondern auch zeitliche Nähe zu diesem Werk festzustellen. In diesem Fall stehen die apostolische Sukzession auf katholischer Seite und der große zeitliche Graben von 115 Jahren auf markionitischer Seite im direkten Widerspruch, aber der Ansatz einer Regel (regula), die ihren Bezugspunkt im Abendmahl besitzt und sich von Johannes (Lk 3,1) bzw. von Kafarnaum (Lk 4,31) bis zur Auferstehung erstreckt, könnte ursprünglich von diesem Markioniten stammen.                                        

Der eindeutige Nachweis der mkn Verfasserschaft von Adversus Marcionem gelingt nur, wenn eine große Menge an Texten aus diesem Werk herangezogen und dreideutig auslegt wird, was den Rahmen einer Internetseite sprengen würde, so dass ich hier auf mein Buch Markion Separator des Gesetzes und des Evangeliums verweisen möchte. Im Bezug auf den Bios Markions ist in dieser Hinsicht die bekannte Art und Weise der Entstehung dieses großen Werkes aus 3 unterschiedlichen Abfassungen interessant, die gleich ganz am Anfang (Adv. Marcionem I,1,1-2) geschildert wird, wenn die Schrift nicht nur als ein beschriebenes Blatt Papier betrachtet wird, sondern, wie bereits erläutert, die sichtbare Handlung in der Außenwelt widerspiegelt. Das erste kleine Werk (opusculum) kann dem ersten Teil des 5.Buches zugewiesen werden, der die paulinischen Hauptbriefe (siehe F.Chr. Baur) in der richtigen chronologischen Reihenfolge Gal, 1 + 2Kor und Röm behandelt. Es wurde von einem anderen Verfasser, der bereits mkn Züge trägt, in den 120er Jahren geschrieben, das eine Vorstufe des Markionitismus (144-155) darstellt. Dieses kleine Schriftstück hat der mkn Verfasser zu den 5 Büchern Adversus Marcionem oder besser Adversus Haereses Omnes um das Jahr 180 erweitert, wobei er auch in dieses opusculum eingreift, wenn er es für nötig erachtet, seine unterschiedliche Position herauszustellen. Das 5-bändige Werk wurde schließlich von einem katholischen Überarbeiter übernommen, der lediglich das wir zum ihr, das ich zum du, das meiner zum deiner usw. gemacht hat, wenn es ihm opportun erschien, aber nicht in den hoch komplexen Satzbau eingegriffen hat.                                          

Das einzige, was nicht aus mkn Feder stammt, ist das 15.Kapitel des ersten Buches (Adv. Marcionem I,15,1-6), das von diesem oder einem anderen katholischen Überarbeiter geschrieben wurde. Das Weltbild dieses Kapitels weicht stark von der allgemein dualistischen Sicht des gesamten Werkes ab und kommt zu einer Anschauung, die sich bis zu neun Göttern steigern kann. Jedoch wird am Anfang (Adv. Marcionem I,15,1) das 15. Jahr der Regierung des Septimius Severus (207 n.Chr.) genannt, das allgemein als Terminus ante quem non betrachtet wird (die Kapiteleinteilung ist katholisch und zerreißt oft den Sinnzusammenhang, so dass hier 15.Kapitel und 15.Jahr eine wundersame Verbindung eingeht). Da in den 5 Büchern auch die Zeitumstände der 130er Jahre vor dem Markionitismus (144-155) detailgetreu geschildert werden, der Verfasser gemäß der Aussage in Adv. Marcionem V,19,1 ein Kompendium über das Zeugnis der Zeiten öffentlich anschlagen möchte (de testimonio temporum compendium figere) und sich der Duktus der Sprache in den unterschiedlichen Zeiträumen nicht ändert, ist eine Verfasserschaft nach 207 n.Chr. aus all den genannten Gründen nicht wahrscheinlich. Im ganzheitlichen Verständnis hat der Verfasser als Urheber dieser Schrift das Zeugnis der Zeiten selbst als sichtbare Handlung in der Außenwelt vollzogen und öffentlich angeheftet (figere), was zeitlich und vor allem als sichtbares Zeugnis mehr einem mkn Verfasser um 180 n.Chr. zuzuschreiben ist, denn dieser Satz beschreibt in allen LAs den Vorgang der Kreuzigung in den mkn Strukturen. Der Satz lautet in der 1.LA, in dem auch der Titel des Werks erscheint, wie folgt:

Soleo praescriptione> <adversus haereses omnes | de testimonio temporum> <compendium figere,  priorem vindicans> <regulam nostram | omni haeretica posteritate>. (Hervorhebung von mir)

Das Verb soleo ist in diesem Fall von dem kath Überarbeiter direkt übernommen worden, so dass er den Anspruch des Markioniten für sich veranschlagt, die Regel als zeitlich erste zu beanspruchen und sich zuzuschreiben, die vor allen Häresien vorhanden war (priorem ist hier nicht prädikativ zu verstehen!). Das könnte nun auch so verstanden werden, dass hier doch der Verfasser der fünf Bücher ein Katholik oder auch dann Tertullian war, wenn dieser in der Ich-Form redet und von einer regulam nostram spricht. Auch die starke Haltung gegen alle Häresien spräche für einen kath Verfasser. Die Verhältnisse sind aber weit aus schwieriger und bekommen erst in der 2. und 3.LA ihre richtige Bestätigung, in denen auch der Infinitiv figere eine große Rolle spielt.                                                                                            

Überdies stellt die Regel, die in der 1.LA als Richtschnur anzusehen ist, selbst eine besondere Häresie dar, vor allem wenn man sie sich selbst zuschreibt (vindicans), so dass der Verfasser mit dieser für sich selbst erwählten Regel gegen alle Häresien schreibt und folglich so handelt, dass auf beiden Seiten Häresien entstehen, die sich widersprechen. Zudem ist seine Regel zeitlich vor aller häretischer Nachwelt und unterscheidet sich als besondere Häresie so stark, dass sie sich von allen anderen Häresien abgrenzen kann und damit auch unterscheiden kann. Es ist das 15.Jahr des Tiberius im Lk-Ev, das er zur Regel macht und im Jahr 29 n.Chr. vor aller Häresie vorlag, in dem der Vater aller Häresien, Simon Magus, noch nicht auftrat. All diese Merkmale liegen sowohl beim mkn Verfasser als auch beim kath Überarbeiter vor, da sowohl der Markionitismus als auch der Katholizismus das 15.Jahr des Tiberius, ursprünglich beim Abendmahl, als zeitlichen Bezugspunkt für ihre Regel beanspruchten und bis nach Lk 4,31 (Kafarnaum) bzw. Lk 3,1 (Johannes) ausdehnten. Damit kommt es zum Streit über die Frage, wer nun wirklich die erste Regel vor aller häretischen Nachwelt besitzt, so dass beide Akteure den jeweils anderen mit diesem Satz der Häresie bezichtigen.                                                                                                                      

Das Alleinstellungsmerkmal dieser Regel als besondere Häresie entsteht bei Markion durch das mündliche Ev, das im Gegensatz zur Schrift, die äußerlich (an das Kreuz) angeheftet wird, nicht erwählt werden kann (siehe dignatus est im 15.Jahr des Tiberius). Das mkn Evangelium (spiritus salutaris Marcionis) stammt vom dritten Himmel und hat mit der Welt des Schöpfers rein gar nichts gemein, weil es innerlich unabhängig von s=k und inniglich unten unabhängig von oben in eigener Weise entsteht, was durch den Ausdruck separatio  im Kernsatz des Markionitismus in allen LAs veranschaulicht wird. Aufgrund dieser Entstehungsweise kann die Regel als besondere Häresie nicht von sich aus mit Inhalt gefüllt werden. Der mkn Häretiker grenzt sich ab, vertritt selbst aber keine für sich ausgewählte Meinung, so dass die mkn Regel inhaltsleer und ohne Dogmatik erscheint, was ihn nun eindeutig vom Katholizismus abgrenzt. Über das mkn Evangelium kann bekanntlich nichts gesagt werden, noch kann es mit irgendetwas verglichen werden. Die Kluft zwischen häretischer schöpferischer Schrift und mündlicher natürlicher Verkündigung ist zu groß. Die mkn Häresie gleicht einer Partei, die in gewohnheitsmäßigen Formen auftritt, selbst aber kein Parteiprogramm besitzt, das sie verkünden, so dass der Terminus Häresie angemessen und doch nicht richtig ist.                                

Da nun in diesem Zusammenhang die mkn Verfasserschaft erwiesen wurde, die sich durch zahlreiche andere Beispiele erhärten ließe, ist die Abfassungszeit dieses großen Werkes um 180 n.Chr. anzusetzen. Es gibt einen Beleg in diesem Kompendium, der den Tod Markions indirekt angibt und sich ganz am Anfang des ersten Buches befindet, der die bekannte Entwicklung der Komposition des Kompendiums aus drei Schriften unter Aufgabe der zweiten Schrift beschreibt. Dort heißt es im Präsens der 2.LA (Adv, Marcionem I,1,2-II):

<Ita stilus iste | nunc de secundo tertius> <et | de tertio iam> <hinc primus | hunc opusculi sui exitum> <necessario praefatur, etc.

Mit "hunc opusculi sui exitum>", das im Präsens (!) der 2.LA sich nicht auf das kleine Werk in den 120er Jahren bezieht, ist der Ausgang und damit explizit das Ende als Untergang, Tod und Lebensende von Markion (sui) dokumentiert, der innerlich diesem opusculum als nur noch kleines Schriftwerk entspricht, das sich lokal abgegrenzt (hunc), gegenüber dem großen opus der Separation: eig ref Ipse Se/AT-NT/s/i. Der Exitus Markions ist nicht wie im 15.Jahr ein Verfließen unter Beibehaltung der cellula creatoris, sondern ein Verschwinden des charakteristischen Verhaltens und dessen stark abgegrenzter Form, weil innerlich der Markionit als primus dem voran Verwandten und damit eng Verbundenen (prae necessario) das kleine Bauwerk aussprechbar und geistig greifbar um 180 verkündet hat (fatur).                

Der zweite Beleg findet sich bei Tertullian, der in der 1.LA schreibt (De Praescr. 30-I):

Nam constat> <illos neque | adeo olim fuisse>,     <Antonini fere principatu, <et | in catholicae primo> <doctrinam credidisse | apud ecclesiam Romanensem> <sub episcopatu Eleutheri benedicti, etc.

Mit illos sind Markion und Valentin gemeint, die fast bis zum Prinzipat des Antoninus (138-161: also kurz vor 138) nicht vorhanden gewesen sind. Da aber sowohl Markion als auch Valentin definitiv eine Vorgeschichte besitzen, wird daraus ersichtlich, dass auch Tertullian das Urteil über Vorhandensein und nicht Vorhandensein von Markion und Valentin nach den gleichen Kriterien trifft, die der Markionit im ersten Beleg herangezogen hat: Ob die wesentlichen Eigenschaften und Formen dieser beiden vorliegen oder nicht. In diesem Fall kann bei Markion und Valentin nicht von einer historischen Person im neuzeitlichen Sinne gesprochen werden. Das Auftreten einer Person, das seine Namensbezeichnung nur aufgrund seiner inhaltlichen und formalen Art und Weise seines Verhaltens erhält, bezeichne ich in der ganzheitlichen formal ontologischen Betrachtungsweise, die die Theologie und die menschlichen Interdependenzen nicht unbedingt ausschließen muss, als Korpus mit all seinen Begriffsinhalten des lateinischen corpus.                                    

Tertullian gibt damit ebenfalls den Grund ihres Verschwindens an: weil sie anfänglich (primo) an katholischer (Volksversammlung) Doktrin geglaubt und somit ihr einzelnes Wesen der Allgemeinheit anvertraut haben. Man muss aufpassen und genau lesen: Das primo bedeutet in der 1.LA nicht "zum ersten Mal", als ob nicht vor 138, sondern unter Eleutherus (175-189) wie beim ersten Beleg eine Angleichung stattgefunden hätte und damit das Korpus gestorben wäre. Das ist falsch! Die Verneinung von neque bezieht sich auf illos und das et ist gleichzeitig, denn Tertullian gibt in der 1.LA einen kompletten zeitlichen Aufriss dieser beiden und konzentriert sich am Schluss nur noch auf Markion. Das apud ecclesiam Romanensem bezieht sich auf doctrinam, so dass die Doktrin zwar kurz vor 138 kath Eigenschaften aufweist, aber ihre richtige kath Funktion erst bei der Ecclesia Romanensis erhält, die unter dem Episkopat des Eleutherus von 175-189 steht, weshalb auch bei catholicae der Begriff ecclesiae fehlt. Tertullian will Markion nicht mit dem Terminus catholicae ecclesiae in Verbindung bringen.                                            

Weiter im laufenden Text nach sub episcopatu Eleutheri benedicti heißt es:

donec ob inquietam> <semper curiositatem,     <qua | fratres quoque> <vitiabant,   <semel | et> <iterum eiecti,       <Marcion quidem | cum ducentis sesteriis> <quae ecclesiae intulerat,    novissime> <in perpetuum discidium | relegati>,        venena> <doctrinarum suarum | disseminaverunt>.

Das donec ist zeitlich gemeint und bezieht sich auf das letzte Verb disseminaverunt, so dass sich ein kontinuierlicher zeitlicher Ablauf ergibt mit den einzelnen dargelegten Zwischenstationen. Das novissime (in neuester Zeit) ist nicht die Abfassungszeit von De Praescr. um 200, sondern die neuesten zeitlichen Umstände aufgrund kath Doktrin unter Bischof Eleutherus. Nach dem Ende dieses langen Satzes und nachdem die giftigen Reden (venena) ihre eigenen Lehren (doctrinarum suarum als Genitivus Objektivus) jenseits der "Ecclesia Romanensis" verbreitet haben (disseminaverunt), fährt Tertullian fort:

Postmodum> <Marcion paenitentiam confessus | cum condicioni datae> <sibi occurrit,              ita pacem recepturus> <si | ceteros quoque>,      quos perditioni erudisset>, <ecclesiae restitueret, | morte praeventus est>. 

Da das condicioni und das sibi über die doctrinam und apud ecclesiam Romanensem verbunden ist, ist Markion in den 180er Jahren seinem Tod zuvorgekommen, weil er sich der "Ecclesia Romanensis" angeschlossen hat, die Tertullian nicht als kath Volksversammlung bezeichnet, aber die kath Doktrin bereits besitzt. Markion hat seinen Tod verhindert, weil er sich geändert hat. Das impliziert aber, dass das typisch Markionitische, sein formal und inhaltliches Wesen und somit dieses Korpus gestorben ist. Dieser Tod Markions wird in der 2. und 3.LA innerlich und inniglich bei Tertullian (nicht innen und innig bei Markion!) explizit so verstanden, dass bei ihm Markion aufgrund seines Todes neu und als anderer entstanden ist.                                                                                          

Der Tod Markions bei Tertullian in den 180er Jahren und der Ausgang Markions um 180 beim Markioniten ist nicht ganz identisch, weil bei jenem sich Markion der kath Volksversammlung angeschlossen (Gleichheit!) und bei diesem sich ihr nur angeglichen hat (Ähnlichkeit!), jedoch beide unabhängig voneinander den großen Einfluss der kath Doktrin und römischen/(romanensis: unter römischen) Volksversammlung auf Markion und seines Verschwindens bestätigen. 

1. Geburt und Kindheit unter Trajan

Mit einem angenommenen Geburtsjahr von 85 n.Chr. wäre Markion 95 Jahre alt geworden, auch wenn er kurz vor 138 in dieser für ihn typischen Form noch nicht vorhanden gewesen ist. Die Zeit vor 138 beschreibt die Entwicklung hin zu diesem Korpus, so dass sie mit einbezogen wird, weil wie jeder Mensch, der einen Körper besitzt, eine Entwicklungsphase durchläuft und gerade in seinen frühen Jahren sein Aussehen und seine Eigenschaften ändert, das Korpus aber vor dieser Zeit aus verständlichen Gründen nicht explizit als "Markion" in den Texten genannt wird. Nach A.Harnack et al. wäre Markion schon zu Beginn seiner Blüte- und Hochphase von 144-155 bereits 59 Jahre alt gewesen, die sich bis zu seinem 70. Lebensjahr erstreckt hätte. Das scheint mir für ein kraftvolles und sich durchsetzendes Verhalten zu alt, so dass ich aufgrund fehlender zeitlicher Quellenangaben abschätzend die Geburt von 85 auf ca. 100 hochsetze.                                                                                              

Das früheste Zeugnis hinsichtlich des Bios Markions findet sich bei Epiphanius. Der von der NTlichen Wissenschaft oft zu unrecht Gescholtene liefert gerade für die Anfangsphase wichtige Informationen, vor allem wenn sie im Aorist (oder auch Imperfekt) geschrieben sind, weil sie dann das ganzheitliche Gesamtbild aller LAs liefern, da die Texte aus mkn Sicht verfasst wurden, also die innerlichen und inniglichen Verhältnisse Markions und nicht anderer beschreiben. Ich werde dennoch die meisten Texte von nun an ausschließlich in der 1.LA und ohne direkte Übersetzung angeben und nur noch bei ganz besonderen Anlässen eine weitere Lesart hinzufügen, wenn es ins Detail geht. Eine Aufspaltung der 1.LA in Exos-LA und Esos-LA wurde bei der Auslegung nicht berücksichtigt, so dass es in der Außenwelt zu Überschneidungen kommen kann. Die Lesarten der geistigen und leiblichen Innenwelt werden in die Besprechung mit einfließen. Der betreffende Zeitraum wird für das jeweilige Zeugnis in eckigen Klammern angegeben. Das früheste Zeugnis über Markion lautet demnach in der 1.LA (Panarion 42,1,4a-I):

τὸν δε πρῶτον> <αὐτοῦ βίον | παρθενίαν δῆθεν ἢσκει>·                                                                                      <μονάζων γὰρ  | ὑπῆρχεν καὶ> <υἱὸς ἐπισκὸπου | τῆς ἡμετέρας ἁγίας> <καθολικῆς ἐκκλησίας.        [100-117]

Der Terminus "hl. kath Volksversammlung" bezieht sich auf die Abfassungszeit um 375, wird aber im Gegensatz zu Tertullian aufgrund dieser Aussage und Satzkonstruktion mit der Kindheit Markions in Verbindung gebracht. Markion geht in der 1.LA als Sohn eines Bischofs ursprünglich aus dieser "hl. kath Volksversammlung" hervor, was impliziert, dass sein Vater einer ähnlichen Volksversammlung vorstand und diesen Posten und Rang eines Bischofs innehatte. Aufgrund seiner innerlichen und inniglich Strukturen macht er jedoch seinem Vater dieses Amt in indirekter Weise streitig, weil er selbst als kleiner Bischof (ἐπισκόπου attributiv bzw. zugehörig) sich hervortut, jedoch in diesen lokalen Positionen ganz allein für sich selbst (μονά) und führend (ῆρχεν) als Bischof auftritt, die keinen großen Einfluss auf die kath Volksversammlung ausüben, so dass es weder mit dem Vater noch mit der Volksversammlung zu Unstimmigkeiten kommt.  Es tut sich innerhalb der Volksversammlung ein einzelnes Korpus auf, das das Verhalten seiner Brüder bereits kritisch beäugt und sie aus einer distanzierten Haltung heraus unter eigener Aufsicht in rechte Bahnen zu führen sucht. In diesem abgegrenzten und zugleich auf andere leicht zugehenden und führenden Verhalten macht sich das mkn Korpus bereits bemerkbar.      

Als einzelner repräsentiert er das, was die Volksversammlung als Ganzes in diesem Zeitraum 100-117, aber auch um 375, darstellt: den Jungfrauenstand. Um in diese einzelne Position gegenüber der Masse zu kommen, ist nicht nur Übung nötig, sondern auch ein gewisser NT/s-Anteil (innerlich oben und inniglich unten), der aufgrund der Aufsicht noch nicht ins Gewicht fällt, aber bereits vorliegt, weshalb Epiphanius (oder auch ein anderer Verfasser?) wegen des allgemeinen trotzigen Verhaltens von NT/s ihn kurz zuvor als "diesen Pontiker" bezeichnet und die Geburt Markions im Pontus in Adv. Marcionem I,1,4 explizit erwähnt wird. 

2. Jugend und Erwachsensein unter Hadrian

Nachdem die Kindheit (100-117) ausgeführt wurde, fährt der Text fort, der die Jugend (117-125) beschreibt (Panarion 42,1,4b-I):

χρόνου δὲ προιόντος> <προσφθείρεται παρθένῳ τινὶ | καὶ>                                                                   <ἐξαπατήσας τὴν παρθένον | ἀπὸ τῆς ἐλπίδος αὐτήν τε> <καὶ | ἑαυτὸν> <κατέσπασε | καὶ>                <τὴν φθορὰν ἀπεργασάμενος | ἐξεοῦται τῆς ἐκκλησίας> <ὑπὸ ἰδίου πατρός. [117-125]

Es ist die oft kritisierte Geschichte der Verführung einer Jungfrau, die verständlicher wird, wenn man die erste und zweite genannte Jungfrau unterscheidet. In der Außenwelt wird Markion von der Volksversammlung als Jungfrau verdorben und verführt, so dass er seine eigene Jungfrau dadurch betrogen hat. Er hat durch Hurerei einen Ehebruch an seiner eigenen Frau begangen (in den lateinischen Quellen als stuprum bezeichnet) und die Askese beendet. Innerlich sind die Verhältnisse genau umgekehrt: Er hat seine eigene Jungfrau durch das Herunterziehen von oben nach unten stärker hervorgebracht und vereinzelt, so dass er sie "vergewaltigt" hat und damit die jungfräuliche Volksversammlung von vorne betrogen hat. Und inniglich hat die untere jungfräuliche Volksversammlung die Situation und Stellung der einzelnen mkn Jungfrau verdorben, weil sie sich an ihr "rangemacht" hat, so dass das Merkmal der Vereinzelung der mkn Jungfrau aufgehoben wurde.                            

In dem Wechsel der Zeiten kommen die Dominanz und der große Einfluss der Hl. Kath Volksversammlung um 375 sehr gut zum Ausdruck, dem sich Markion in seiner jugendlichen Zeit nicht erwehren kann, und mit der johanneischen Volksversammlung aufgrund des historischen Präsens der 1.LA verglichen werden kann, die Anfang des 2. Jahrhunderts zur Geltung kam. Alles was ihr schaden könnte, findet in der Vergangenheit statt. Im Gegensatz aber zur mkn Jungfrau nimmt bei der demnach johanneischen (joh) Jungfrau die Hoffnung und die Prophetie einen sehr großen Raum ein, die durch die Verführung der joh Volksversammlung entzogen wurde. Das Herausschlagen aus dieser Volksversammlung durch den eigenen Vater ist die erste von insgesamt drei Verbannungen, die Markion in seinem Leben erfahren musste. Der erste Rauswurf um das Jahr 125 wurde frei gewählt, weil dieses Jahr keinen Anhaltspunkt in der gesamten mkn Überlieferung findet.                                                                                                                                                 

Die Schändung einer Jungfrau in der Jugend Markions findet reichliche Ausgestaltung in der überlieferten Literatur. So z. B. in Pseudo-Tertullian, der in Adv. Omnes Haereses - der umgekehrte Titel von Adv. Haereses Omnes des Markioniten - im 17. Kapitel der 1.LA schreibt:

Post hunc> <discipulus ipsius | emersit Marcion> <quidam nomine,       <Ponticus genere, episcopi filius>, <propter stuprum cuiusdam virginis | ab ecclesiae communicatione abiectus>.

Pseudo-Tertullian bietet hier insgesamt 4 wesentliche Stationen und Informationen über den Lebenslauf Markions, der die Schändung einer Jungfrau beinhaltet. Mit hunc ist Kerdo gemeint, der unter Hygin (136-140) zum ersten Mal in Rom um 136 auftaucht. Nach diesem Kerdo ist Markion als sein Schüler ein wenig später um 138 in seiner wesentlichen Art aufgetaucht (emersit) und wird deshalb auch hier explizit genannt, was mit dem Zeugnis Tertullians (De Praescr. 30-I: kurz vor 138 nicht vorhanden gewesen) übereinstimmt. Er beschreibt seine pontische Abstammung und Herkunft, die seine Geburt um 100 beinhaltet, seine Kindheit von 100-117 als Sohn eines Bischofs und eben die Schändung einer Jungfrau von 117-125.                                                                                                                                              

Da keine weiteren Lebensdaten angegeben werden, kann davon ausgegangen werden, dass die Schändung über das Jahr 125 hinaus sich weiterentwickelte und erst beim Gang nach Rom um 138 ihren Abschluss fand. Denn der Ausdruck ab ecclesiae communicatione abiectus> beinhaltet nicht nur den ersten Rausschmiss unter dem eigenen Vater (um 125: aufgrund der Phase 117-125), sondern auch die zweite Verbannung und Vertreibung bei Johannes dem Evangelisten (um 136: aufgrund der Phase 129-136), die wir bei Filastrius (Haer. 45-I) erfahren:

<Qui devictus | atque fugatus> <a beato Iohanne evangelista | et>                                                               <a presbiteris de civitate Efesi | Romae> <hanc heresim | seminabat>.

Diese Verscheuchung und in die Flucht Schlagen (fugatus) findet in der näheren Umgebung vom glücklichen Johannes dem Evangelisten statt (kein Dativus-Auctoris in der 1.LA!) und hat sich bis kurz vor dem Gang nach Rom ereignet, weshalb diese 2.Lebensphase insgesamt von 117-136 (unter Hadrian) angesetzt wird. Der Beginn dieser Vertreibung bei Johannes lege ich auf das Jahr 129, das ebenfalls in der Literatur wie das Jahr 125 keinen Anhalt findet, will aber damit auf das 15.Jahr des Tiberius anspielen, das sich auf das Jahr 144 bezieht. Der Zusammenhang wird später erläutert werden. Es ist insgesamt eine kontinuierliche Steigerung zu verzeichnen, die dem Korpus letztendlich den offiziellen Namen Markion um 138 eingebracht hat.                                                                                                                            

Beim bereits angeführten Zeugnis von Tertullian (De praescr. 30-I) wird in der Mitte dieses langen Satzes eine zweimalige Verwerfung von Markion (und Valentin) mit dem Ausdruck eiecti angeführt. Da das eicere neben dem Verbannen und Herauswerfen auch wesentlich das Ausstoßen von Worten, die Zunge herausstrecken, das stoßweise Aussprechen und das mündliche von sich Geben umschreibt, beziehen sich diese beiden Verbannungen auf den ersten Rauswurf durch den Vater um 125 und das endgültige Verlassen der Volksversammlung um 138, aber nicht auf das (unmündliche) Vertreiben (fugatus) bei dem glücklichen (!) Johannes um 136 bzw. von 129-136.

[...], <semel | et> <iterum eiecti,                                                                                                        <Marcion quidem | cum ducentis sesteriis> <quae ecclesiae intulerat, [...]

Diese beiden (mündlichen) Verbannungen (125 und 138) werden mit dem bekannten Geldgeschenk an die vorerst joh Volksversammlung in Höhe von insgesamt 200.000 Sesterzen in Verbindung gebracht. Da das cum sich auf das Verb und indirekt auf Markion bezieht, wurde Markion um 138 zusammen mit 200.000 Sesterzen aus der Volksversammlung jetzt in Rom herausgeworfen, die er ihr vorher eingetragen, (als Opfer) dargebracht und übergeben hatte (intulerat). In Adv. Marcionem IV,4,3-I wird die Geldübergabe ebenfalls erwähnt:

[...], <cum pecuniam | in primo calore fidei> <catholicae ecclesiae contulit,                                    proiectam mox> <cum ipso, [...]

Im Gegensatz zu Tertullian (De praescr.) fällt beim Markioniten (Adversus Haereses Omnes) wie auch bei Epiphanius (Panarion 42; hier vielleicht ein anderer Verfasser?) der Ausdruck catholicae ecclesiae, die das Vermögen Markions bekommen hat. Das in primo calore fidei beschreibt die jugendliche Phase Markions (117-125) und darüber hinaus bis 129, bevor er später (129-136) bei Johannes in die Flucht geschlagen wird. Mit dem Anfang des mkn Eifers und seiner Leidenschaft beginnt auch die kath Volksversammlung ab 117, die von der Vermögensabgabe Kapital schlägt. Das proiectam nimmt inhaltlichen Bezug auf das eiecti als Nebenform von iacere und schildert den mündlichen Vorgang der Abweisung von 117-129, wobei hier mit pecuniam nicht die ganze Summe von 200.000 Sesterzen in Betracht kommt, sondern immer nur ein Teil davon ihm vorgeworfen wird, so dass die einzelnen Vermögensteile sich aufsummieren auf 200.000 Sesterzen, die dementsprechend auch zusammen getragen (contulit) werden können. Der jugendliche und bereits erwachsene Markion (17-29 Jahre alt) ist mit Eifer und Vertrauen auf die dadurch werdende kath Volksversammlung immer wieder zugegangen und musste seine mündliche Abweisung erfahren. Die einzelnen Mitglieder der kath Volksversammlung äußern sich kritisch über den jugendlichen und eifernden Markion, für dessen richtige inhaltliche Kritik in diesem Zeitraum sein Vater als Bischof und Aufseher zuständig ist. Der Machtzuwachs und das Vermögen der einzelnen Mitglieder aufgrund ihrer geäußerten Kritik landen letztendlich bei seinem Vater aufgrund des Bischofsamtes. Die Geldsumme von 200.000 Sesterzen ist daher auch in zweifacher Weise gewählt worden, um einerseits den Vermögensverlust von Markion und andererseits den Machtzugewinn seines Vaters auszudrücken. Bei Papinian (Responsa X) mussten römische Männer 200.000 Sesterzen an ihre Frauen zahlen, wenn sie während der Ehe Umgang mit einer Konkubine pflegten. Im Gegenzug entspricht die Geldsumme einem Jahresgehalt eines sog. Ducenarius. Es ist ein Prokurator, der für die Steuereinnahmen einer Provinz zuständig war. Das Geldgeschenk an die Volksversammlung floss also indirekt an seinen Vater, der dadurch einen hohen Posten als Bischof bekam.      

Nachdem im fortlaufenden Text des Panarion (42,1,5-6a) die mündliche Kritik einzelner Katholiken (siehe eiecti bzw. proiectam) an den jugendlichen und leidenschaftlichen Markion in dem Zeitraum 117-125 geschildert wird, der von seinem eigenen Vater nach 8 jährigem Fremdgehen schließlich um 125 aus der Volksversammlung verbannt wurde, und nach der Verbannung eine Sinnesänderung bei Markion trotzdem ausblieb (125-129), werden die äußeren Folgen dieses Verhaltens für den bischöflichen Vater im nächsten Satz der 1.LA geschildert (Panarion 42,1,6b-I):

πόνος γὰρ εἶχε> <τὸν ἀξιόλογον γέροντα | καὶ> <ἐπίσκοπον,                                                                            ὅτι> <οὐ μόνον | ἐξέπεσεν ἐκεῖνος>,      ἀλλ'> <ὅτι καὶ αὐτῷ | τὸ αἶσχος ἔφερεν>.  [125-129 - 375]

In diesem Satz, der im ersten und dritten Teil sich bis zur Abfassungszeit um 375 erstreckt (Imperfekt), erfahren wir, dass der Vater Markions als Bischof auch das bedeutende Amt eines Ratsherrn innehatte, so dass damit die aufsehende Funktion des Bischofs mittlerweile politischen Charakter trägt, was mit der Tätigkeit eines Finanzprokurators übereinstimmt, wenn er das Vermögen, das sich durch die mündliche Kritik der einzelnen Katholiken ergibt, beobachtend und kontrollierend verwaltet. In dem Moment aber, wenn sich durch die Steigerung Markions die Lage zuspitzt, ergreift er selbst Partei und nimmt seine politische Macht in Anspruch, um die durch eigene Sinnesänderung und Vereinzelung herausgefallenen Katholiken in die joh-kath Volksversammlung zurückzuführen. Mit dieser Parteiergreifung fällt nicht nur Markion aus der joh-kath Volksversammlung heraus, sondern auch er muss die Schande der Exkommunikation genauso wie sein Sohn über sich ergehen lassen. Durch das Imperfekt wird deutlich, dass dieser Prozess der Inanspruchnahme politischer Macht, um einzelne Gefährder wie Markion abweisen und Herr werden zu können, über Jahrhunderte gängige Praxis in der kath Volksversammlung geworden ist.                                                                                                                                          

In der 2. und 3.LA wird der passive Markionitismus in dieser Zeit (125-129) beschrieben, der die Beschimpfungen einzelner herausgefallener Katholiken über sich ergehen lässt und durch das Imperfekt auch in anderen späteren abgeschwächten Formen des Markionitismus enthalten ist. Eine Mühsal und Arbeit führt innerlich zur oberen Bildung von NT/s, so dass das untere AT/s machtlos und für äußere zugänglich wird. Markion hat die Beschimpfung über sich ergehen lassen und nicht darauf mündlich reagiert wie alle anderen, sondern die Mühsal und Pein auf sich genommen, die inniglich stets und dauerhaft unten beibehalten wurde. In dieser Auseinandersetzung, die sich gegenseitig beeinflusst, ist Markion entstanden und herangewachsen. Sein weiterer Bios und Lebenslauf von 129-136 wird im nächsten Satz (Panarion 42,1,7-I) beschrieben:

ὡς τοίνυν οὐκ> <ἔτυχε παρ' αὐτοῦ διὰ τῆς κολακείας | ὧν ἐδέετο>,                                                                 <μὴ φέρων τὴν | ἀπὸ τῶν πολλῶν χλεύην> <ἀποδιδράσκει τῆς πόλεως | τῆς αὐτοῦ> <καὶ |             ἄνεισιν εἰς τὴν Ῥώμην αὐτήν>, κτλ. [129-136]

Ab 129 schlägt der aggressive Spott um (Verneinung auf Spott in 1.LA!) und wird zur sanften Schmeichelei, bei der sich die Mitglieder der joh Volksversammlung nicht mehr vereinzeln, und ein mündlicher Ausspruch nach außen entweder gar nicht mehr oder nur ganz schwach sich vorfindet. Die Schmeichelei verliert aber nicht ihre Künstlichkeit und ihren Schein-Charakter, der bereits beim Spott als "Scherz" angelegt war, und dringt innerlich bei Markion unten ein und veranlasst ihn sich nach oben zurückzuziehen. Dieses Verhalten passt zu dem fugatus, das bei Filastrius (Haer. 45-I) angeführt wird und für diesen Zeitraum (129-136) angesetzt wurde. Ab 129 wird der Vater Markions seines Amtes als Ratsherr und Prokurator enthoben und durch den "glücklichen Johannes dem Evangelisten" (Haer. 45-I: a beato Iohanne evangelista) ersetzt, der sich gegenüber Markion durchsetzen kann und mehr Einfluss auf ihn ausübt als umgekehrt.                                                                                            

Im gleichen Zeitraum nimmt durch den innerlichen Rückzug Markions nach oben seine Macht oben wieder zu, weil er die unten eindringende Schmeichelei nach oben mitnimmt und aufbaut, was dazu führt, dass inniglich ein Bischof selbst zu dem oberen Rom hinaufgeht. Seine Macht steigert sich, so dass er beim letzten und endgültigen Rauswurf aus der kath Volksversammlung in Rom um 138 die 200.000 Sesterzen und damit sein Vermögen wieder zurückbekommt. In den Jahren von 138 bis 144 wird seine Macht jetzt selbst als römischer Finanzprokurator, jedoch in anderer Weise und anderer Form als in der römischen Volksversammlung, weiter zunehmen, bis er schließlich im 15.Jahr (144) zum Kaiser Tiberius in der gesteigerten mkn Form der lk Kreuzigung aufgestiegen ist, die über Pilatus hinausweist. 

3. Volle Reife und Akme unter Antoninus Pius

Das Jahr um 138 ist ein großer Einschnitt im Leben Markions, weil erst ab diesem Zeitpunkt kurz nach Kerdo Markion offiziell und explizit als Häretiker in den Quellen genannt wird und mit einer Zwei-Götter-Lehre und der Missachtung des Gesetzes in Verbindung gebracht wird. Für das Verständnis der dualistischen Lehre Markions ab 138 ist es wichtig, vorher kurz auf den Lehrer Markions, den Syrer Kerdo, einzugehen. Zu Kerdo gibt es einige Quellen und Berichte; ich beschränke mich aber auf Augustinus, da er Kerdo kurz, anschaulich und informativ, und vor allem in allen LAs aus Kerdos Sicht schildert. Nachdem Augustinus einen guten zeitlichen Aufriss gibt über einige Häretiker (Simon Magus, Basilides, Karpokrates) schreibt er in der 1.LA (contra Adv. legis et prophetarum 40-I): 
 
Cerdon> <postea surrexit,    qui primus invenitur> <dixisse duos deos,    
unum bonum> <et | alterum malum>, etc. [136-138]
 
Bei der Zwei-Götter-Lehre Kerdos und auch Markions müssen in den Texten allgemein die verwendeten Attribute und ihr Verhältnis zueinander sehr genau untersucht und darauf bestimmt werden, vor allem wenn solche Begriffe wie gerecht, unbekannt, bekannt etc. fehlen oder auch zu den Attributen gut und böse separat ergänzt werden, da z.B. der Ausdruck guter Gott sowohl für das AT als auch für das NT herangezogen werden kann. Die eindeutige Zuordnung zu dem jeweiligen Testament, aber auch der Bezugspunkt (z. B. äußerlich oder außen?) müssen daher aus dem Gesamtzusammenhang, anderen Quellen im gleichen Zeitraum und allen Lesarten ermittelt werden, denn vor allem hier entscheidet die Form explizit über die Zuweisung zum einen oder anderen Testament. 

In diesem Zeugnis, das im Perfekt den Zeitraum 136-138 abdeckt und zusätzlich die innerlichen und inniglichen Verhältnisse von Kerdo beschreibt, auf die ich hier wegen Platzmangels und ihrer Komplexität nicht eingehen möchte, sind beide Attribute (bonum und malum) auf den Schöpfer des AT bezogen, die sich außen bei der römischen Volksversammlung aus der Sicht Kerdos feststellen lassen. Wie beim Baumgleichnis, das bekanntlich in Rom bei Markion eine große Rolle spielt, beziehen sich beide Götter auf das ATliche Verhalten des bösen und guten Menschen. Jedoch aufgrund der mündlichen Äußerung des Kerdo (dixisse) geht es in der Außenwelt nicht um sichtbare und sofort wahrnehmbare Verhältnisse, sondern um offenbarte Begebenheiten, die durchscheinen und erkannt werden. Im Bezug auf das Baumgleichnis sind dies die kleinen Früchte des großen Baumes, die aufgrund der mündlichen Äußerung des bösen und guten Menschen eine leicht sichtbare bildhafte Vorstellung in der Außenwelt erzeugen, von der man auf den stark wahrnehmbaren Baum schließen kann (Lk 6,44-I). Es geht demnach in Rom nicht um sichtbare Taten, sondern um mündliche Äußerungen und Machtpositionen in dieser für Rom typischen politischen Auseinandersetzung. 

Innerhalb der römischen (röm) Volksversammlung ist in der Außenwelt das Korpus Kerdo aufgestanden (surrexit) und als Redner aufgetreten (dixisse), das an den mündlichen Äußerungen seiner Mitmenschen den sich offenbarenden guten und bösen Gott des AT erkannt hat und diese Feststellung ebenfalls mündlich geäußert hat, was impliziert, dass der Inhalt dieser mündlichen Konstatierung außen bei den römischen Katholiken als bildhafte Vorstellung vorliegt und damit nur leicht sichtbar ist. Diese Erkenntnis und Unterscheidung zwischen guten und bösen Gott/AT ist nicht leicht zu erlangen, denn die Früchte haben zwar ein unterschiedliches Aussehen (schön bzw. verfault), da sie aber mündlich von innen nach außen vorgetragen werden, hat auch die verfaulte Frucht ihre Weintraube (Lk 6,44-II). D.h., dass z.B. das böse Zurechtweisen anderer einen geistigen sinnvollen Inhalt nicht nur für den Sprechenden, sondern auch für den Zuhörenden (siehe AT-Judaismus) besitzt. Dies tritt besonders dann ein, wenn sich jemand nicht an Vorschriften oder in diesem Fall an das mosaische Gesetz hält bzw. es unterlässt, und er deswegen in seine Schranken gewiesen wird. 

Als Syrer besitzt Kerdo den Leib-Seele-Dualismus, der sich vor allem in der geistigen Innenwelt dadurch ausdrückt, dass er das geistige Fleisch (Ipse Se) verweigert und die geistige Seele bzw. den Geist (Se) bevorzugt. In diesem Dualismus ist eine Form von Gnosis enthalten, die ihm zu der äußeren Erkenntnis beider Prinzipien, die bei der äußeren röm Volksversammlung vorliegen, geführt hat. Die mündlich getätigten Äußerungen der bösen und guten Menschen sind ihm zu "fleischlich". In dieser mündlichen Auseinandersetzung, die sich gegenseitig bedingt, weil die Zurechtweisung in der Regel an Fleisch zunimmt, wenn der Zurechtgewiesene sich nicht rechtfertigt oder sich belehren lässt, entsteht nicht nur inhaltlich, sondern auch formal eine Distanz zueinander, die dazu führt, dass bei Kerdo die sichtbare Vorschrift/AT fast nicht mehr erfüllt wird. 

Der ganze Vorgang wird bei Irenäus auf exzellente Weise beschrieben, den ich hier unkommentiert anführen möchte. Die Texte des Irenäus sind allgemein sehr schwierig zu lesen, weil er ein Meister der Kommasetzung ist und seine Sätze oft verschachtelt sind, die in den Lesarten unterschiedliche Bezüge aufweisen. Die direkt auf sich beziehenden Satzteile werden daher unterschiedlich dargestellt.
 
Adv. Haereses III,4,2-I: 
<Cerdon autem | qui ante Marcionem>,      <et hic | sub Hygino>,          <qui fuit | octavus episcopus>,  saepe> <in ecclesiam veniens,       <et | exhomologesin faciens> <sic consummavit |,                    <modo quidem | latenter docens>,     <modo vero | exhomologesin faciens>,   <modo vero | ab aliquibus traductus> <in his quae | docebat male>, | et> <abstentus est | a religiosorum hominum conventu>.
 
Als Lehrer Markions überträgt Kerdo seine Anschauung und dieses Verhalten auf seinen Schüler, der es noch weiter ausbaut, so dass in dieser politischen Auseinandersetzung in Rom Markion noch mehr an Macht und Stärke gewinnt (siehe ἐκράτυνε im nächsten Satz) und die sichtbare Einhaltung der Vorschrift/AT nun vollends zum Erliegen kommt. Denn gemäß dem Zeugnis von Hippolyt (Refutatio 7,37-I) hat Markion das Dogma des Kerdo, das dort kurz vorher den Unterschied von gerecht und gut bzw. bekannt und unbekannt annimmt, verstärkt und befestigt, so dass dieses Dogma durch Wiederholung und regelmäßigen Versuch (Imperfekt) sich durchgesetzt hat:
 
<τούτου δὲ τὸ δόγμα | ἐκράτυνε Μαρκίων>,                   τάς τε ἀντιπαραθέσεις> <ἐπιχειρήσας | καὶ> <ὅσα αὐτῷ ἔδοξεν | εἰς τὸν τῶν ἁπάντων δημιουργὸν> <δυσφημήσας. [138-144]
 
Die hier genannten ἀντιπαραθέσεις sind nicht die Antithesen Markions, die sich erst ab 144 durch die Separation von Gesetz und Evangelium als Schriftwerk (opus) in der Außenwelt niederschlagen, zu dem das mkn mündliche Evangelium (spiritus salutaris marcionis) hinzukommt, das in der 2.LA explizit und in der 3.LA implizit als unteres Evangelium gegenüber dem oberen behandelt wird (siehe Kernsatz des Markionitismus) und mit dem Demiurgen gar nichts mehr gemein hat. Es liegt im Gegensatz zum letzten Satz des Augustinus bei Hippolyt der Unterschied zwischen gerecht (AT) und gut (NT) vor mit dem Schwerpunkt auf das Geschaffene des Demiurgen, das hier auf beiden Seiten zum Schein wird (ἔδοξεν: Doketismus), der schon vor 138 auf der Seite beim glücklichen Johannes durch die Schmeicheleien sich heraus zu kristallisieren begann und bei Markion dadurch entsteht, dass zu den innerlichen geistigen Urteilen aufgrund ihrer Massivität wie bei Kerdo (siehe Leib-Seele-Dualismus) ein distanziertes Verhältnis eintritt und sie einen Scheincharakter erhalten, weshalb sie im Gegensatz zur anderen Seite (gerecht/AT) nicht nach außen getragen werden (gut/NT). Das Gesamte (ἁπάντων) des Demiurgen ist sowohl das mündliche als auch das schriftliche, also im Falle des Baumgleichnisses sowohl die Frucht als auch der Baum, aber was dem Markion schien (ὅσα) ist vorerst nur das mündliche, so dass von der schöpferischen Frucht auf den schöpferischen Baum geschlossen wird, der dann ebenfalls zum Schein wird.

Auf den gerechten Demiurgen fallen solche Zitate des AT, die bei Theodoret von Cyrus (Haer. Fab. Lib. I,24) im gleichen Zusammenhang genannt werden: Auge um Auge, Zahn um Zahn, oder den Freund zu lieben, den Feind zu hassen. Und auf der Seite des Guten (NT): dem Ohrfeigenden, der die rechte Wange geschlagen hat, auch die andere hinzudrehen, oder den Feind zu lieben. Diese Gegenüberstellungen hat A.Harnack fälschlicherweise den Antithesen in zahlreichen weiteren Beispielen, die er in seiner Monografie hinzufügt und auflistet, zugeordnet. Wie bei Kerdo geht es hier in Rom aber um mündliche Äußerungen in diesem politischen Kampf der Meinungen, die von den röm Katholiken und Presbytern in einem streng gesetzlichen und gerechten Kontext benutzt werden. Die gerechten Urteile der röm Volksversammlung sowohl in böser als auch guter Hinsicht hat Markion über sich ergehen lassen und wurden zum Schein, so dass beide Seiten ihre Macht zum Ausdruck bringen. Es geht in Rom nicht um vollbrachte gesetzliche und sichtbare Taten wie sie im alten Testament niedergeschrieben wurden und für die Juden als Zeichen dienen, sondern um ein Verhalten, das sich nur mündlich kundtut und daher nicht in seiner Leiblichkeit (3.LA) vollends auftritt, weshalb hier auch Presbyter genannt werden. Das ungesetzliche Verhalten Markions wird nicht schroff gerügt, man wendet sich auch nicht von ihm ab, sondern versucht aufgrund von viel Erfahrung und Erhabenheit, aber dennoch auf gesetzliche und gerechte Weise, ihn zum Umlenken und Umdenken zu bringen. In diesem Falle ist die Reaktion der röm Volksversammlung auf das ungesetzliche Verhalten Markions mehr eine Ausnahme als die Regel im Alten Testament.

In den Jahren 138 bis 144 spitzt sich die gesamte Situation noch zu, so dass es ab 144 zu der Separation von Gesetz und Evangelium kommt, bei der Markion in der gesteigerten Form der lk Kreuzigung sein eigenes Evangelium erhält und die Distanz zur röm Volksversammlung noch größer geworden ist. Die gesamte mkn Konstitution ab 144 wurde bereits bei der Behandlung der Separation und des Markionitismus erörtert und bleibt konstant bis zum Jahr 155. In diesem Zeitraum fallen die Antithesen, die eben nicht aus neuzeitlicher Sichtweise eine Auflistung von gegensätzlichen Thesen des AT gegenüber dem NT sind, sondern eine Handlungsabfolge darstellen, die sich in gegenseitiger Abhängigkeit auf beiden Seiten gleichzeitig entwickelt und gegensätzlich ausfällt, so dass in der Außenwelt die kath Seite eindeutig und ausschließlich dem Gesetz und die mkn Seite rein dem Evangelium zugeordnet werden kann. Die Antithesen als Schriftwerk kommen in dem Lk-Ev zum Ausdruck, das ab 144 von Markion verbessert wird, so dass die lk Abfolge und sein Handlungsablauf eine Änderung erfährt, die in den Jahren 144-155 auch so tatsächlich vollzogen wurden. Anhand der Perikope der Heilung eines Aussätzigen soll dies ausführlich auf der nächsten Internetseite unter der Rubrik Antithesen dargestellt werden.

Am Ende möchte ich auf dieser Seite des Bios Markions, die nur einen kleinen Einblick in das Leben und Wirken Markions liefern soll, kurz auf die Herleitung des Jahres 155, seine Gesamtsituation und seine Auswirkungen eingehen.

4. Die Begegnung Polykarps im Jahr 155

Das Jahr 155 ergibt sich aus der historischen und geschichtsträchtigen Begegnung des Polykarp, des Bischofs von Smyrna, mit Markion, die in zahlreichen Quellen (Irenäus, Epilog aus der Moskauer Handschrift, Eusebius, Timotheus von Konstantinopel, indirekt beim Polykarp-Brief an die Philipper) geschildert wird, und der Apologie des Justin (Stelle I,26), weil sowohl die Begegnung als auch die Apologie in allen Lesarten einen plausiblen Zusammenhang darstellen, der bis in die Gleichheit einzelner Strukturen reicht. Die Apologie wird generell in der Forschung um die Mitte des 2.Jhds. angesetzt und A.Harnack äußert sich in seiner Markion-Monografie zur Abfassungszeit: "nicht vor dem Jahr 150, aber sehr bald nachher". Irenäus schreibt in seiner chronologischen Betrachtung des Lebens Polykarps in der 1.LA kurz vor der geschilderten Begegnung, dass dieser unter Anicet (155-166) nach Rom kam und viele Häretiker in die Volksversammlung Gottes konvertierte, wobei im Satz davor explizit unter anderen Markion genannt wird. Ungeachtet des Todeszeitpunktes des Martyriums von Polykarp, das nicht unstrittig in das Jahr 155 gelegt wird, ergibt sich aus beiden Quellen (Begegnung und Apologie) das Jahr 155. Es ist noch wichtig zu bemerken, dass nicht Markion konvertiert wurde, sondern <multos ex his | quos praediximus>, also nicht Markion selbst, sondern Markioniten (Abstammung, kein Genitivus Partitivus!).
Bei Justin werden in der Außenwelt die Machtverhältnisse der Blasphemien auf mkn Seite gegenüber dem Demiurgen und der Festnahme und Verhaftung der Dämonen auf kath Seite geschildert, so dass ähnliche mündliche Begebenheiten vorliegen wie bereits oben dargelegt, weil die Blasphemien mündlich geäußert werden (λέγειν) und die Dämonen aufgrund der Strukturen der 2. und 3.LA böse Geister darstellen, die jedoch hier nicht mehr nach außen getragen, sondern unterdrückt werden, so dass der Terminus σύλληψις (1.LA: Festnahme/Verhaftung) seine volle Berechtigung erfährt. Der Text lautet in der 1.LA (Apologie I,26-I):
 
<Μακίωνα δέ | τινα Ποντικόν>,       ὃς καὶ> <νῦν ἔτι | ἐστὶ διδάσκων> <τοὺς πειθομένους,            <ἄλλον τινὰ | νομίζειν μείζονα> <τοῦ δημιουργοῦ θεόν· | ὃς> <κατὰ πᾶν γένος ἀνθρώπων | διὰ τῆς τῶν δαιμόνων συλλήψεως> <πολλοὺς πεποίκε | βλασφημίας λέγειν> <καὶ | ἀρνεῖσθαι τὸν ποιητὴν> <τοῦδε τοῦ παντὸς θεόν,                                                                                                                <ἄλλον δέ τινα |,        <ὡς ὄντα μείζονα, | τὰ μείζονα παρὰ τοῦτον> <ὁμολογεῖν πεποιηκέναι.
 
Nach diesem Zeugnis des Justin um 155 ergibt sich eine gegenseitige abhängige Gesamtsituation, so dass die Markioniten (τοὺς πειθομένους) trotz ihres größeren und mächtigeren Gottes (μεἰζονα) durch die Festnahme der Dämonen auf kath Seite auf ihrer Seite Blasphemien aussprechen und damit ihre Abhängigkeit (διὰ) von der kath Volksversammlung bekunden. Diese mündlichen Gotteslästerungen, ausgedrückt durch den Anspruch einen größeren Gott als den Demiurgen festzusetzen, erzeugen eine bildhafte Vorstellung auf mkn Seite und nicht wie bei Kerdo auf kath Seite, der dort einen sich offenbarenden guten und bösen Gott festgestellt hat. Diese sich offenbarende blasphemische Vorstellung entsteht bei den Markioniten und nicht bei Markion, der ganz bewusst mit "welcher> <nach ganzer Art (von) Menschen" näher beschrieben wird. Denn dieser Terminus verdeutlicht die Verbindung und Einheit des freundlichen Menschen (AT/s) und des konträren Menschen (NT/s), also den kulturellen Menschen (AT/s), aber auch das, was den Menschen von allen anderen Arten auszeichnet, seine Natur und Veranlagung, sich konträr zur Umwelt zu stellen und diese exponierte Lage auch aushalten zu können (NT/s). In der Philosophischen Anthropologie bezeichnet H.Plessner dies als exzentrische Positionalität, was ich in meiner Schreibweise mit NT/s ausdrücke. Bei Markion ist diese Einheit noch gegeben (AT-NT/s), aber nicht mehr bei den Markioniten (AT+NT/s).

Justin um 155 beschreibt das Korpus Markion im Präsens (welcher auch> <jetzt noch | vorhanden ist lehrend>), der viele Markioniten im Perfekt geschaffen hat (πεποίκε), so dass im griechischen Perfekt das, was geschaffen worden ist, resultativ gegenwärtig vorhanden ist. Der Verfasser drückt damit genau das gleiche aus, was bereits oben bei Irenäus erwähnt wurde: viele stammen aus Markion und anderen (<multos ex his | quos praediximus>). Es sind die Markioniten, die nicht mehr die gleiche Konstitution wie Markion aufweisen, weil sie nicht nur Blasphemien ausgesprochen haben, sondern auch den Schöpfer verweigert haben (ἀρνεῖσθαι τὸν ποιητὴν) und das NT/s über das AT/s gestellt haben. Da Justin auch die geistigen Verhältnisse der Markioniten beschreibt, die mit der 1.LA übereinstimmen, geht daraus hervor, dass die Markioniten nicht mehr wie Markion in der Separation den Schöpfer hochgefahren und gesteigert haben und ihn auf seiner unteren Stelle so lange belassen haben, dass er aufgrund seiner unterbundenen Ausdehnung nach oben unten von selbst verfloss (<de caelo emanare). Die äußerliche Konstitution der Markioniten (AT+NT/s) entspricht daher auch der innerlichen (AT+NT/s), die dem eines röm Kaisers ähnlich sind (siehe Jesus im 15.Jahr des Tiberius), nur dass hier nicht, wie bereits beim 15.Jahr des Tiberius erwähnt, das NT/s ausschließlich formal vorliegt, sondern inhaltlich. Es sind daher die mündlichen Blasphemien der Markioniten selbst, die sich über den Schöpfer stellen und einen größeren Gott als den Demiurgen in der Außenwelt bei den Markioniten offenbaren: NT/s/a/of/g

Dieses NT/s/a/of/g ist es, das Polykarp aufgrund seiner Absonderung und Entkoppelung vom AT/s des Schöpfers erkennt und aufgrund seines bösen Charakters als Erstgeburt des Satans bezeichnet. Irenäus beschreibt diese Begegnung Polykarps mit Markion, dieses wichtige Ereignis und Aufeinandertreffen zweier einflussreicher Körper, wie folgt, das den Sachverhalt sehr kompakt schildert (Adv. Haer. III,3,4-I): 

Et> <ipse autem Polykarp || Marcioni aliquando> <occurrenti sibi,       <et | dicenti>, Cognoscis nos?> || respondit>: <Cognosco te | primogenitum Satanae>. [um 155]

Die fettgedruckten Worte gehören in der 1.LA zusammen, aber nicht so in der 2. und 3.LA, und die Großschreibung soll die Betonung hervorheben. In geschickter Weise bringt Irenäus die komplexe Sachlage und das ganze Beziehungsgeflecht zwischen Markion und Polykarp auf den Punkt, wobei er dies mit zahlreicher Verwendung von Personalpronomina (ich, du, uns, dich) und dem Reflexivpronomen (sibi) zur Anschauung bringt, die in der ganzheitlichen formal ontologischen Betrachtungsweise einen ganz anderen Stellenwert einnehmen wie wir es normalerweise gewohnt sind und hier in der Kürze nicht ausführlich behandelt werden können.

Auffallend und unterscheidend ist das Reflexivpronomen bei Markion (sibi) und das eigenständige Auftreten (ipse) bei Polykarp. Mit du (cognoscis) ist in allen LAs Polykarp gemeint und mit uns (nos) in der 1.LA die Markioniten, so dass auch hier Markion und die Markioniten im direkten Bezug zueinanderstehen, die wie bei Justin und kurz vor diesem Satz bei Irenäus durch das reflexive (sibi) und mündliche Verhalten (dicenti) sich aus dem Korpus Markion herausentwickeln und abstammen und damit auch vereinzeln. Das dich (te) bezieht sich daher in der 1.LA ausschließlich auf Markion, aber der Erstgeborene auf einen vereinzelten Markioniten, der aus Markion abstammt (<multos ex his), von ihm geschaffen wurde (πεποίκε) und letztendlich geboren wurde (genitum). Wenn jemand mit diesem Personalpronomen (te) von außen angesprochen wird, dann bekommt jener, weil er nicht über sich selbst bestimmt, in der ganzheitlichen Betrachtungsweise die Verfassung menschlich-göttlich (m-g), was auch durch den Ausdruck Erstgeborener/(m) des Satans/(g) übereinstimmt, also insgesamt NT/s/a/of/m-g.

Die mkn Fremdbestimmung über Polykarp (cognoscis) wird mit der gleichen Art und Weise durch die Selbstbestimmung Polykarps abgewehrt (cognosco). Diese Selbstbestimmung und Vereinzelung Polykarps (ich) geschieht aber nicht wie bei dem lästernden Markioniten, der innerlich das NT/s reflexiv (ref) für sich wählt (ref Se/NT/s/i/m), sondern dadurch, dass er es innen bei sich zulässt und über sich ergehen lässt, aber nicht für sich in Anspruch nimmt (ref Se/NT/s=k/i2/m). Diese Selbstbehauptung und indirekte Unabhängigkeit geschieht bei Polykarp durch sein starkes eigenständiges (eig) Auftreten (eig Ipse Se/AT/s/i2/m), das sich letztendlich als Ich wahrnimmt (eig ref Ipse Se/AT/s/i2/m), weil es eine Distanz zu diesem eindringenden ref Se/NT/s=k/i2/m aufbaut, aufgrund dessen in der Außenwelt der Markionit als Erstgeborener des Satans erkannt werden kann. Denn dieses von innerlich nach innen eindringende ref Se/NT/s=k/i2/m des Markioniten entspricht genau dem dich (te) der 2.LA, so dass aufgrund der umgekehrten Betonungsstruktur nicht Markion zum Erstgeborenen des Satans wird, sondern dieser als dich wahrgenommen und bemerkt wird (cognosco). Das innere dich hat demnach auch wie in der Außenwelt das Attribut menschlich-göttlich (m-g), also ref Se/NT/s=k/i2/m-g.

Die Gesamtkonstitution Polykarps ist der einer Kreuzigung sehr ähnlich. Bei Lk dringt innerlich von vorne das AT/s=k/i ein (das Markion absondert und noch weiter hochfahren lässt) und schneidet sich mit dem NT/s/i, das von oben kommt, in einem Punkt. Bei Polykarp dringt innen von vorne das NT/s=k/i2 ein (das die Markioniten für sich erwählt haben) und schneidet sich mit dem AT/s/i2, das unten bleibt, in einem Punkt. Wie weit dies bereits um 155 zum Martyrium Polykarps und auch zu seinem Tod geführt hat, das in der neutestamentlichen Literatur weit Beachtung fand und hochstilisiert wurde, kann ich letztendlich nicht beurteilen. Fest steht jedoch, dass ab 155 die Markioniten und mit ihnen der Markionitismus die gesteigerte Form der lk Kreuzigung nicht mehr vollbringen, und auf gegenüberliegender kath Seite Polykarp sich dem Martyrium der Kreuzigung zuwendet.

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